Bisher dachten wir, es wird uns schon nicht treffen. Fake News? Das ist nicht unser Problem. Andere Länder, andere Sitten. Aber momentan stehen wir in Deutschland zum ersten Mal ensthaft in Kontakt mit gezielter Falschinformation. Und begreifen die von ihr ausgehende Bedrohung. Die Reaktionen geben Hoffnung, die Gespräche sind fundiert, der Austausch rege. Dennoch haben Verschwörungstheoretiker und Fake-News-Produzenten das geschafft, was sie wollten: eine Handvoll Menschen demonstriert auf den Straßen.
Glücklicherweise sind wir in der Lage, ähnlich wie beim Coronavirus, auf andere Länder zu schauen, die diese Erfahrung bereits gemacht haben. Wir können lernen und verstehen, wie Falschinformation entsteht und warum sie sich so rasant verbreitet. Und dies schafft Zeit. Zeit, die wir dringend brauchen, um uns auf die nächste Welle vorzubereiten. Denn eins ist sicher: Fake News werden bleiben.
Dieser Beitrag ist keine ausführliche Auseinandersetzung mit dem Thema. Es wurde schon von vielen Seiten darüber berichtet, geforscht und Rat gegeben, doch wurde ich immer wieder gefragt: „Wo soll man denn bitte anfangen?“ Meine Antwort:
Hier.
Wodurch entstehen Fake News? Also, warum haben wir dieses Problem überhaupt?
Was kann man damit machen? Fällt euch was ein? Mir nicht. Absolut gar nichts.
Wenn ich aber den Schmelzpunkt von Eisen kenne, die freiwerdende chemische Energie bei der Oxidation von Schießpulver, die Ideen Newtons und die Bewegungsgleichungen einer Kanonenkugel, dann kann ich aus diesem Stein eine mächtige Waffe herstellen. Oder eine Brücke zu meinen Nachbarn.
Was ist hier gerade passiert? Fehlt in dieser Gleichung nicht etwas? Ja, denn mit Wissen alleine kann man die Welt nicht verändern, mit Werkzeugen und vor allem dem Verständnis, wie man diese einsetzt, schon – zum Guten oder Schlechten.
Dieser Text handelt von Fake News. Aber um uns wirklich gegen dieses Phänomen zu feien, müssen wir begreifen, dass Fake News ein Werkzeug sind. Eines unter vielen. Fake News sind Teil von dem was ich „manipulative Informationen“ nenne. Dem Werkzeugkasten, der uns erlaubt, Menschen, nicht Steine, zu manipulieren. Und um diesen zu begreifen, beginnen wir mit unserem ersten Hauptsatz:
1. Wenn ich etwas verstehe, kann ich es kontrollieren.
Unglücklicherweise sind wir weiter als je zuvor im Verstehen der Welt. Oder glücklicherweise, denn in den letzten Jahrzehnten haben wir unsere Kontrolle hauptsächlich genutzt um Brücken zu bauen. Der Grund? Brücken sind ein sehr viel besseres Investment, denn sie schaffen Wohlstand. Kanonen hingegen sind ein Instrument des Krieges, der Reichtum nur verschiebt, und das ist teuer.
Doch diese Rechnung wurde gerade verändert. Aber wodurch?
Menschen zu verstehen, vorherzusagen wie sie sich verhalten werden, geschweige denn sie zu manipulieren, ist schwierig. Im direkten Vergleich mit unserem Stein: unmöglich.
Lässt sich vielleicht dennoch etwas finden, das unseren Fragezeichen nahe kommt?
In Isaac Asimovs Roman „Foundation“ entwickelt der fiktive Forscher Hari Seldon Gleichungen, mit denen er die Geschichte der Menschheit präzise vorhersagen kann und somit auch manipulieren. Doch selbst Seldon kann diese Formeln nicht auf einzelne Menschen anwenden „ebensowenig, wie man die kinetische Theorie der Gase auf einzelne Moleküle anwenden könnte“ (Foundation, Isaac Asimov, 1951).
Was damit gemeint ist? Ganz einfach: nimm ein Thermometer in die Hand. Wie viel Grad zeigt es? Wie viel Grad, schätzt du, wird es in ein paar Minuten sein? Heißer, kälter, gleich? Und wenn du die Heizung anmachst? Das war easy. Aber wie schnell bewegt sich dieses eine Molekül da, 123 nm links von deinem rechten Daumen? Na, komm, so schwer ist das jetzt auch nicht.
Doch ist es. Selbst mit dem besten und teuersten Equipment wäre es sehr schwer, diese Frage zu beantworten. Wir halten die Menschheit als Ganzes für genauso unberechenbar wie dieses einzelne Gasteilchen. Doch Hari Seldon erkennt in „Foundation“, dass die Bevölkerung eines ganzen Planeten mehr deinem Raum gleicht, meßbar, vorhersehbar und zu verstehen. Und so beginnt er das galaktische Imperium zu manipulieren.
Auch wenn die Gleichungen von Hari Seldon der Fiktion entspringen, so gilt doch trotzdem: je größer die Menschenmenge, desto einfacher ist sie zu verstehen. Zumindest wird es durch große Mengen deutlich einfacher, Dinge auszuprobieren und so durch Experimente zum Verständnis zu gelangen.
Was hat das alles mit Fake News zu tun? Nun, unser geliebtes Internet schafft die größte Menschenmenge, die wir uns vorstellen können. Es verbindet die ganze Bevölkerung unseres Planeten. Brieftauben und das Telefon tun das auch, aber die findet man nicht umsonst nur noch im Museum. Das Internet ist einfach verdammt gut darin, uns zu verbinden.
Der zweite wichtige Hauptsatz lautet:
2. Das Internet verbindet uns Menschen zu einer großen Masse, die deutlich einfacher zu verstehen ist.
Wer den ersten Hauptsatz noch in Erinnerung hat, der wird sich nicht wundern, dass dadurch auch die Manipulation einfacher, ja überhaupt erst möglich, wird.
Ich wette, wenn es das Buch „Das Manipulations-Einmaleins: Von Advertising bis ZOG“ geben würde, wäre es sofort ein Bestseller. Denn, so gern wir uns selbst es auch nicht eingestehen wollen, wir Menschen lieben Manipulation. Vor allem wenn wir behaupten können Brücken zu bauen. Aber wir kommen vom Thema ab. Ein bisschen Anfänger-Mathe noch, dann haben wir endlich verstanden, warum es Fake News gibt. Aus den beiden letzten Gleichungen wird nämlich, zumindest statistisch:
Und so haben wir endlich unsere Fragezeichen gelöst und den letzten Hauptsatz gefunden.
3. Kontrolle über Menschen wird somit einfacher denn je.
Anders gesagt, die Manipulation von Meinung und die Vorhersage über Verhalten durch Meinungsänderung wurde durch das Internet: günstig.
Wem das alles nicht konkret genug ist: Durch das Internet konnte Russland die Krim für einen Preis erobern, von dem Alexander der Große oder Napoleon nur hätten träumen können. Durch das Internet konnte eine kleine Gruppe Börsenspekulanten die UK aus der EU werfen. Kluge und lohnende Investments, durch die sich „Krieg“ wieder „rentiert “. Wer jetzt aufschreit und sagt, sowohl hinter der Krim, dem Brexit und Trump stehen auch echte Menschen und nicht nur bewusste Manipulation, darum geht es nicht. Der eigentliche Punkt ist: durch das Internet bricht der Grundgedanke des „rationalen Individuums“ zusammen. Dabei geht nicht, wie oft behauptet, die Rationalität verloren, sondern die Individualität. Das Internet macht ganz automatisch – ohne böse Intention – Menschen zu „market segments“ und teilt uns Individuen in hübsche, als Paket zu erwerbende Zielgruppen ein. In der mathematischen Sprache von Hari Seldon werden somit aus Millionen unübersichtlicher Variablen eine überschaubare Handvoll. Es gehen nicht mehr unzählige kritische Bürger an die Wahlurnen, sondern ein paar leicht zu verstehende homogene Gruppen, plus einer komplizierten – aber machtlosen – mit dem Titel „not categorized“.
Dummerweise haben wir die ganze westliche Welt seit der Aufklärung (also seit mehreren Hundert Jahren) auf dem Grundgedanken des rationalen Individuums, siehe Demokratie, aufgebaut. Wenn also Verschwörungstheoretiker Angst davor haben, dass etwas Großes unsere Grundgesetze bedroht, dann haben sie recht. Nur sind sie es ironischerweise selber.
Dies haben sie allerdings erkannt. Einer der Hauptargumente der Verschwörungstheoretiker ist die Angst vor einer zu großen Meinungsgleichheit. Dies zeigt auch gleich eine erste Taktik der Manipulation auf, eines der Dinge, die wir durch Verständnis von Menschenmassen inzwischen gelernt haben: Skepsis wird in unserer Gesellschaft als noble Tugend angesehen (wir haben aus der religiösen Inquisition gelernt), wer also Kritik an einem allgemein akzeptierten System übt, der wird nicht nur nicht diskreditiert, sondern sogar ernst genommen. Der perfekte Moment selbst ein neues Dogma als Lösung zu präsentieren.
Die Antwort lautet also nicht, auf der Straße zu demonstrieren und unüberlegt, blindgläubig, ja wie sie es selbst so gerne formulieren, als Schafe, die Forderungen der Verschwörungstheoretiker zu wiederholen. Die einzige Lösung, die ich sehe, und ich freue mich über weitere, lautet die Bevölkerung zu impfen. Zu impfen gegen die Krankheit „Fake News“. Gegen den Angriff auf all jene, die Teil der Gruppe „not categorized“ sind. Denn noch ist es dem Internet nicht gelungen, diesen Teil in Deutschland zu dezimieren.
In der fiktiven Wissenschaft Hari Seldons gibt es eine wichtige Regel, um Menschenmassen verstehen zu können. Die Bevölkerung darf sich niemals bewusst sein, dass sie Teil seiner Gleichungen ist. Das Wissen über eine eigene Vorherbestimmung zerstört diese. Und so besteht der Weg aus jeder Informationskrise in dem Wissen, wann man Teil eines Manipulationsversuches ist.
Teil 2, Praxis: Überleben im Internet
3 Prinzipien
Aber wie können wir dieses Wissen erlangen? Wie würde diese besagte „Impfung“ aussehen? Wie können wir manipulative Information im Netz zu uns nehmen, ohne manipuliert zu werden? Und nein, das Internet niederzubrennen hilft nicht. Weniger Zeit dort zu verbringen schon, aber das wird nicht reichen. Also, welche Prinzipien würden wir jemandem beibringen, der noch nie im Internet war? Wenn wir selbst alles vergessen würden und heute frischgeboren ans Handy gingen, wovor wünschten wir uns, gewarnt zu werden?
Was wir brauchen, ist meiner Meinung nach eine Einstellung, ein „Mindset“, mit dem wir Informationen im Netz aufnehmen. Alle Information. Denn das erste Prinzip lautet:
1. Jede Information im Internet ist erst einmal manipulativ.
Das klingt hart und mag nicht stimmen. Aber die Alternative „fast alles ist manipulativ, außer dem was Heye (sehr vertrauenswürdiger Typ, glaubt mir), die Wissenschaft, etc. sagt“ öffnet eine Schwachstelle, die mit Sicherheit ausgenutztwerden wird. Klar, langfristig muss man Vertrauen aufbauen, aber denkt dran, es geht hier um einen Neustart. Und keine Autoritätsperson sollte einem sagen, wem man zu trauen hat, sondern nur einem beibringen, wie man dieses Vertrauen aufbaut.
Das zweite – und deutlich problematischere – Prinzip lautet:
2. Alleine die Aufnahme einer Information reicht aus um manipuliert zu werden. Es ist weder nötig, sie zu verstehen noch ihr zuzustimmen.
Ok, aber warum sollte das stimmen? Wer jemals ein traumatisches Erlebnis hatte, ein Bild, dass einem nicht mehr aus dem Kopf ging, oder auch nur einen Gedanken, welchen man nicht mehr losgeworden ist, der weiß, dass es irreversible Wahrnehmung geben kann. Es wäre schön, entscheiden zu können, etwas zu vergessen, aber das geht nicht (oder nur mit unpraktischen Drogen). Genauso können Skepsis und Zweifel irreversible Auswirkungen haben. Es ist unglaublich schwer, Vertrauen aufzubauen. Eine unbegründete Infragestellung oder Anschuldigung reicht aus, um den Ruf zu ruinieren.
Hinzu kommt der Effekt, dass wir Menschen extrem schlecht darin sind, uns winzige Zahlen vorzustellen. Wenn 100.000 Experten etwas sagen, aber einer dagegen spricht, sind wir nicht in der Lage diese Kritik im richtigen Verhältnis abzuspeichern. Denn wer weiß schon, wie groß 0,01 % einer Pizza sind. Und wem fällt schon auf, dass diese Prozentangabe falsch war. Dadurch kann einfach nur die Wahrnehmung „es gibt da einen Experten, der anderer Meinung ist“, bereits ohne Verstehen seiner Kritik und ohne Zustimmung, ein äußerst falsches Bild der Welt erzeugen.
Wenn mich jemand am Anfang meines Internetunterrichts mit diesen beiden Prinzipien konfrontiert hätte, ich hätte wahrscheinlich den Raum verlassen. Warum sollte ich freiwillig so einen Kriegsschauplatz betreten wollen? Wieso mich der Gefahr aussetzten dahingegen manipuliert zu werden, etwas zu kaufen, zu wählen, zu sagen, zu unterzeichnen, anzugreifen? Aber genau das ist der Punkt. Nur wer dieses Bild eines Kriegsschauplatzes vor Augen hat, bei jedem Öffnen eines neuen Tabs, bei jedem Scrollen eines Feeds, jedem Autoplay, nur der wird langfristig das Internet für das nutzen können, wofür es sich lohnt: als beste, globalste und dezentralste Quelle für hochqualitative Information.
3. Das Internet dient sowohl der Aufnahme von Informationen als auch von Katzenvideos. Aus Prinzip 1 und 2 folgt, dass wir uns in einen grundverschiedenen „gedanklichen Modus“ versetzen müssen, je nach dem ob wir uns informieren oder unterhalten lassen wollen.
Dies ist vielleicht der wichtigste Gedanke dieses Guides. Um ihn zu veranschaulichen, wähle ich eine drastische Metapher: wie würdet ihr „Mein Kampf“ von Hitler lesen, wenn ihr es müsstet?
Sicher nicht in eurem kuscheligen Bett oder eurem liebsten
Lesesessel, oder?
Das Bild, das ich in eurem Kopf sehen möchte, ist das eines Reinraums. Einer Glasvitrine, beleuchtet von grellen LEDs, qualmende automatische Türen aus einem Science-Fiction-Film, Wissenschaftler:innen in Ganzkörperanzügen, mit dicken Handschuhen und gruseligen Visieren. So sieht der Modus aus, in dem man Viren, außerirdische Materie und „Mein Kampf“ anfässt. Dinge, von denen man nicht genau weiß, was sie mit einem machen. Ja klar, vielleicht sind die Viren harmlos, die Materie nur ein langweiliger Mondstein und „Mein Kampf“ … nein. Das Buch ist definitiv nicht harmlos. Der Punkt ist: man kann es vorher nicht wissen!
In der Wissenschaft gibt es für den Umgang mit gefährlichen Stoffen Richtlinien und Gefahrenstufen. Diese Richtlinien sollten wir dringend auf Informationen ausweiten, denn für uns als Unerfahrene, die noch nie im Internet waren, gilt es jede Information als „höchste Alarmbereitschaft“ einzustufen.
Das alles mag drastisch, übertrieben, unpraktisch und pessimistisch klingen, ja sogar widersprüchlich zu all dem, wie wir gelernt haben die Welt wahrzunehmen. Aber ich würde widersprechen. Wer vor einem Ölgemälde steht, würde niemals behaupten, dass Abgebildete sei real, das Gemälde sei ein Fenster in die echte Welt.
Unsere Bildschirme sind nichts als moderne Ölgemälde, voller Bewegung und überzeugend echt, doch das einzig Reale in ihnen sind ihre Flüssigkristalle. Nur irgendwie scheinen wir das vergessen zu haben.
Doch auch in einem Ölgemälde gibt es Bezüge zur realen Welt. Ein Kunsthistoriker wäre in der Lage diese zu entdecken. Mein Wunsch wäre, dass wir alle mehr Kunsthistoriker werden und uns so auf die Suche nach der Realität im Internet machen. Vielleicht können wir dann auch endlich wieder Vertrauen zueinander aufbauen.
Teil 3 – Regelwerk: Die höchste Gefahrenstufe
7 Regeln
Um das Ganze noch einfacher zu machen, hier ein Regelwerk, welches für Informationen völlig unbekannter Natur gilt.
Ach, bevor ich es vergesse: es gibt noch eine nullte Regel. Wer zu wenig Zeit hat, diese Regeln zu befolgen, der hat sie nicht verstanden. Denn die Befolgung dieser spart Zeit. Sie spart uns all die Stunden, die wir in echten Bibliotheken verbringen müssten. Dann, wenn nichts und niemandem mehr im Internet zu trauen ist.
Das eigentlich Schöne am Internet ist ja: wer weiß, wo er zu suchen hat, der findet alles, was er wissen will. Schneller, besser und aktueller, als jedes Stück Papier es jemals liefern könnte. Doch dies gilt nur, wenn wir den momentanen Trend zu immer mehr manipulativen Informationen aufhalten.
Und wer wirklich keine Zeit hat, sich über ein Thema zu informieren, und das trifft auf jeden von uns eigentlich immer zu, für den gilt: Einfach mal die Klappe halten. Etwas nicht zu wissen, ist der Grundzustand des Menschseins. Und dazu sollte man stehen.
Genug gelabert. Hier meine sieben Regeln gegen Fake News:
1.Der Umgang mit Informationen erfolgt immer in einem geschlossenen Reinraum. Also einer mentalen Stimmung, die eindeutig getrennt von Erholungsphasen, sozialer Interaktion u. Ä. stattfindet.
Ich werde die einzelnen Regeln hier kommentieren und erklären. Wer schon so weit gelesen hat, kann bestimmt auch noch ein paar Minuten erübrigen.
Wer sich an das 3. Prinzip erinnert, weiß: Dass es im Internet, das ursprünglich nur als Informationsnetzwerk gedacht war, Katzenvideos und Verschwörungstheorien gibt, ist weder zu vermeiden, noch unbedingt schlecht. Man muss nur für sich selbst erkennen, dass letztere einem anderem Zweck, nämlich dem der Unterhaltung, dienen. Ohne Verschwörungstheoretiker hätten wir keine so großartigen Filme wie „Iron Sky“. Doch wer daraufhin „Kollisionen mit Weltraumzeppelinen“ als echtes Risiko für Satelliten hält, hat diese beiden Seiten des Internets vermischt.
a. Hierfür rät es sich z.B. bei Twitter/YouTube/Reddit/Facebook/Instagram/etc. zwei Accounts anzulegen. Einen für Informationen und einen für ‚Katzenvideos‘. Dies hat, neben dem Antrainieren einer Gewohnheit, den Nebeneffekt, dass auch Werbung und automatische Vorschläge nicht vermischt werden. Eine weitere Möglichkeit besteht in der Nutzung zwei verschiedener Browser.
Der Weg zu Informationen im Internet sieht selten so aus: Ich möchte etwas wissen, ich suche etwas, ich finde eine Antwort. Viel häufiger kommt Information zu uns, voll automatisiert, passiv. Das ist nicht unbedingt schlecht. So ließe sich theoretisch eine „Blasenbildung“ vermeiden, denn wir könnten ja auch Information zugespielt bekommen, von der wir gar nicht wussten, dass wir sie brauchen. Leider ist oft das Gegenteil der Fall und gefährliche Feedback-Loops entstehen. Aber auch das lässt sich nutzen. Wem gelingt, der AI beizubringen, wann man richtige Informationen haben will, und wann man einfach nur entspannen möchte, der nimmt sich selbst viel Arbeit ab.
b. Auch äußere Einflüsse, wie bestimmte Musik, ein Ortswechsel oder selbst die Vorstellung „ich gehe jetzt in die Bibliothek“ können genutzt werden, um in den Informationsmodus zu wechseln. Im Anschluss kann man sich belohnen. Kurz: es soll eine Gewohnheit entstehen.
Zum Thema, wie man eine Gewohnheit schafft, gibt es unzählige Literatur. „Atomic Habit“ von James Clear, „The Power of Habit“ von Charles Duhigg und das Paper „How habits are formed: Modelling habit information in the real world“ von Phillippa Lally, et al. wurden mir von vielen Seiten empfohlen. Ich habe diese aber lediglich überflogen und daher nicht verlinkt. In meiner Erfahrung ist der Schlüssel zu guten Gewohnheiten, den Auslöser zu verstehen. Jede:r muss hier für sich ausprobieren, wie man den Impuls „das möchte ich jetzt aber wissen“ in eine konstruktive Richtung lenkt.
c. Fast News, also Nachrichten mit eindeutig fettigen Titeln
– und somit fast aller unbezahlter Journalismus – sind keine Informationen und sollten höchstens wie ‚Katzenvideos‘ konsumiert werden.
Der The Atlantic Artikel „Why the Coronavirus Is So Confusing“ von Ed Yong beschreibt wunderbar, warum Journalismus nicht in der Lage ist, ein genaues Bild der Welt zu schaffen. Vor allem nicht, wenn ein Thema sich so rasch ändert wie die Coronakrise: „‚Journalists still think of their job as producing new content, but if your goal is public understanding of COVID-19, one piece of new content after another doesn’t get you there,‘ [Jay Rosen, a journalism professor at NYU,] says. ‚It requires a lot of background knowledge to understand the updates, and the news system is terrible at [providing that knowledge].‘ Instead, the staccato pulse of reports merely amplifies the wobbliness of the scientific process, turns incremental bits of evidence into game changers, and intensifies the already-palpable sense of uncertainty that drives people toward misinformation.“
2.Das Thema, über welches sich zuerst informiert werden sollte, ist „Informationsaufnahme im Internet“ selbst. Hierfür gibt es zahlreiche gute Quellen – von einfachen Videos hin zu wissenschaftlichen Studien.
Hier meine persönliche Zusammenstellung: Stufe 1 (für wenig Zeit): Die beste, kurze Zusammenfassung: Fake Facts, ein Video von ein paar Student:innen, die damit den Fast Forward Science Wettbewerb gewinnen konnten.
Stufe 2 (eine sehr guter Einstieg, für etwas mehr Zeit): Meine Lieblingsworte zu dem ganzen Thema Fake News stammen von SmarterEveryDay. Die Worte ab Minute 25:08 sollten wir uns alle an die Wand hängen, alleine „I think, the way to get around this, is proactive, intentional unity“ sagt doch alles. Der Rest des Videos The Future of War, and How It Affects YOU (Multi-Domain Operations) ist zwar sehr amerika- und militärzentriert, aber nicht unwichtig. Ab Minute 12:46 gibt es außerdem eine gute Erklärung der „Cyber“ und „Human Domain“. Hier kommen meine Kriegsmetaphern her.
SmarterEveryDay hat ebenfalls eine ausführliche Playlist über Manipulation auf verschiedenen Plattformen erstellt. Alle Videos hiervon sollten einem die Augen öffnen:
Stufe 3 (für alle, die sich ausführlich mit dem Thema beschäftigen möchten): Ein Einstieg in „Kommunikationspsychologie“, aber mit großartigem Verzicht auf Fachbegriffe: The Story of Us: Full Series, von Tim Urban / WaitButWhy
Manchmal reicht auch einfach eine gute alte dystopische Beschreibung vom „Worst Case“. Auch wenn es in Neal Stephensons „Fall, or Dodge in Hell“ nicht wirklich um das Thema Fake News geht, die Beschreibung des Staates „Ameristan“ ist eine unterhaltsame, aber auch düstere Warnung.
Und dann natürlich die unzählige Fachliteratur, auf die ihr unweigerlich in eurer Quellenrecherche stoßen werdet.
a. Eine gute Faustregel fürs ganze Leben lautet, sich immer etwa zu 5% mit der Meta-Ebene zu beschäftigen. In diesem Fall sollte man sich bei jedem 20ten Aufenthalt im Internet mit dem Internet selbst beschäftigen (Aufbau, Schwachstellen, etc.).
Ich bin dieser Regel zuerst in dem Buch Ultralearning von Scott H. Young begegnet. Seiner Idee nach, sollte man sich mindestens 5% der Zeit mit „Meta-Learning“ befassen, also dem Lernen wie Lernen überhaupt geht. Das ist deutlich mehr als man denkt, rechnet das mal aus.
3.Wer Regel 1 und 2 bewusst befolgt hat, verpflichtet sich dazu, alles über Fehlinformationen auch anderen beizubringen. Die besten Gegenmittel sind: Prävention und Prävention. Durch miteinander reden.
Das Wort „Fake News“ impliziert ja, dass es auch eine nicht gefakte Wahrheit gibt. Aber was ist denn schon wahr? Der beste Weg, den die Menschheit bis jetzt gefunden hat, um Wahrheit zu finden, liegt im wissenschaftlichen Denken. Doch wie kann man mit jemandem argumentieren, der dem widerspricht?
Die Antwort ist: schwierig. Wer der Wissenschaft misstraut, mit dem ist schwer zu diskutieren. Dennoch gibt es eine Lösung: Prävention. Die Studie von Daniel Jolley und Karen M. Douglas „Prevention is better than cure: Addressing anti-vaccine conspiracy theories“ (buuh, Paywall) ist sehr zu empfehlen. Für mich der wichtigste Punkt: hört man zuerst „Anti-Conspiracy“-Informationen, also Aufklärung darüber, dass es Verschwörungstheorien gibt, und dann erst die Verschwörungstheorie, glaubt man dieser nicht. Man braucht nur die Reihenfolge zu ändern – also erst die Verschörungstheorie präsentieren und dann aufklären – und trotz exakt gleicher Information wird der Verschwörungstheorie mehr Gewicht gegeben.
a. Dabei darf dieses übergreifende Thema niemals politisiert werden. Es spielt keine Rolle, welch andere Meinung vertreten wird, geredet werden muss trotzdem. Auch wenn hierfür über seinen eigenen Schatten gesprungen werden muss, Missinformation betrifft uns alle.
Eine der größten Missstände, die durch Manipulation erreicht werden kann, ist die Teilung. Es ist unglaublich einfach ganze Bevölkerungen gegeneinander auszuspielen. Nach dem Motto „Teile und herrsche“ ist das häufigste Ziel von Fake News: es gibt nur „uns“ und „die Anderen“. Wer hierrauf reinfällt, hat verloren. Aber es gibt ein Gegenmittel:
I believe the biggest threat right now is division. They are gonna find the division within our society and they’re gonna amplify it. […] [But] if we extend patience and political grace, not just to the people we like, but also to those with whom we disagree, these manouvers in the Cyber Domain meant to divide us, simply will not work. Political grace, basically the art of disagreeing well, this is the ultimate countermeasure.
b. Besondere Risikogruppen sind Kinder, da kritisches Denken nur in einem langwierigen Reifeprozess entstehen kann, als auch ältere Menschen, die bis jetzt keinen Kontakt mit der vollen Bandbreite des Internets hatten.
Wir können uns gar nicht vorstellen, noch nie im Internet gewesen zu sein, für uns ist das alles hier nur ein Gedankenexperiment. Aber es gibt noch Menschen, die nie im Netz waren. Eine ganze Menge sogar. Hier fällt uns „Erfahrenen“ eine große Verantwortung zu.
c. Dafür können gerne auch diese Richtlinien geteilt werden.
Yeah, traffic.
4.Das Teilen von Information erfolgt nur im seltensten Notfall, und wenn auch nur der geringste Verdacht besteht, dass der Reinraum undicht ist, unter keinen Umständen.
Wenn jemand Information mit mir teilt, dann kommt diese Information nicht alleine. Sie ist verpackt in einer Box, die ich beschrifte: „Vertrauen: Hoch“. Oder wenn derjenige mich schon oft betrogen hat: „Vertrauen: Keines“. Wir werden im Leben mit so vielen Informationen bombardiert, dass uns gar nichts anderes übrigbleibt, als diese zu filtern. Und als soziale Wesen eignet sich die Verknüpfung von Personen mit Informationen hervorragend, um solch einen Filter zu entwickeln.
Doch leider hilft uns das in unserer vielvernetzten, anonymen Welt nicht weiter. Zuerst stufen wir, korrekterweise, alles Anonyme als „Vertrauen: Keines“ ein. Aber dann begehen wir einen schweren Fehler: wir stufen alles von echten Menschen, auch wenn wir sie nur über zehn Ecken kennen, als „Vertrauen: mindestens ein bisschen“ ein. Und so verbreiten sich Falschinformationen am rasantesten nicht über Twitter oder YouTube, sondern über WhatsApp.
Die menschliche Natur können wir nicht ändern, aber wir können jeden Klick auf „Teilen“ als hohes Gut ansehen.
a. Es wird alles unternommen, damit Emotionen erzeugende Information nicht häufiger und schneller verbreitet wird als reine Information selbst. Dies wird als größte Schwachstelle des Internets anerkannt, und als persönliche Herausforderung.
Einer Studie (Open Access) von S. Vosoughi, et al. zufolge verbreiten sich falsche Informationen auf Twitter schneller und weiter als überprüfbar richtige Nachrichten. Sowohl der Neuheitsgrad als auch die emotionale Reaktion auf Tweets wurden untersucht, und ein klarer Unterschied zwischen wahren und falschen Tweets gefunden. Eine Analyse der Wortwahl deutete darauf hin, dass falsche Nachrichten Angst, Abscheu und Überraschung hervorrufen, während wahre Nachrichten eher Gefühle wie Traurigkeit, Freude und Vertrauen wecken. Die Forscher warnen zwar vor „Causation vs. Correlation“ – die Studie alleine reiche nicht aus, um zu sagen, dass Fake News sich schneller verbreiten, weil sie starke Emotionen hervorrufen – aber dennoch sollte dieses Ergebnis uns allen zu denken geben.
b. Eine Frage, die man sich vor jedem Teilen stellen sollte, ist: „warum?“ Die Antwort „weil ich wissen will, was der andere davon hält“ ist wohl der einzige Fall, in dem Teilen erlaubt ist.
Man soll seine Mitmenschen nicht als Mittel zum Zweck nutzen. Ein Spruch von Kant, an den wir uns beim Teilen von Informationen öfter erinnern sollten.
5.Wer Informationen erhält, die folgende Kriterien enthalten – und somit als eindeutige Fake News zu klassifizieren sind –, der tritt ungefragt mit demjenigen, der die Information geteilt hat, in Kontakt und wiederholt Regel 3.
a. Klassische „Red Flags“ sind:
I. Die Information besteht zu 100% ausKritik oder Lob. Die Welt ist komplexer als Disneys „Gut und Böse“ – Kritik an Systemen, der Weltordnung und Personen kann daher nur partiell sein. Beispiel: „Gates hat die WHO gekauft“ vs. „Die Finanzierung der WHO durch projektbezogene Spendenlässt sich kritisieren. Weil dadurch nicht finanzierte Forschung auch nicht stattfindet.“
Merksatz: „Trump ist nicht der Teufel, Hillary isst keine Kinder zum Vergnügen und Yang ist auch keine Reinkarnation Buddhas (nur fast).“
II. Die Information macht die Welt signifikant einfacher, simpler und weniger chaotisch, zufällig oder ungerecht. Die Welt ist kein Ponyhof (zumindest solange man kein Pony ist) und einfache Antworten existieren nicht. Macht Information die Welt angenehm, dann ist es vermutlich nur ein ‚Katzenvideo‘ im Informationspelz.
Merksatz: „Der Gedanke einer chaotischen Welt, völlig außer Kontrolle, macht Angst. Manchen Menschen mehr als eine Herrschaft durch Reptilien-Roboter-Zuckerberg.“
III. Die Information besteht aus einem grundlegenden Gegensatz von Opferverständnis und Heldentum. Der Leser ist Opfer einer Verschwörung, und der Autor wird durch Aufdeckung dieser zum Held. Nochmal: Das Leben ist kein Comic.
Merksatz: „Psst, Prinzessin. Nicht Umdrehen. Alle anderen wollen Böses von euch, aber ich bin hier euch zu retten.“ (Wir beide wissen, worauf der Retter scharf ist …)
IV. Enthält Information sowohl einen wissenschaftlichen, als auch einen politischen Anteil, ist meist Humes Guillotine verletzt worden. Eine „Ist so“ Studie ist kein logischer Beweis für einen „Soll so“ Tweet. Politisierung nichtpolitischer Themen ist äußerst gefährlich und oft der letzte Ausweg, wenn die Realität einem nicht passt.
Merksatz: „Sichtbares Licht hat eine Wellenlänge von 380-750 nm. Daher ist meine Partei besser als deine.“
V. Emotionen, Emotionen und nochmals: Emotionen. Wirkt Information als Schalter für deinen Biochemiehaushalt, ist schon alles verloren. Siehe Schritt 4a.
Merksatz: „Habe genau so viel Ekel vor emotionalen Informationen wie vor ‚Emoji – Der Film‘.“
VI. und, und, und … Es gibt zahlreiche „kleinste gemeinsame Nenner“ zwischen manipulativen Informationen, denn diese basieren auf akzeptiertem und erprobtem Verständnis menschlicher Kommunikation. Da nicht von jedem erwartet werden kann, hier ein ganzes Studium zu absolvieren, bleibt nicht viel übrig als Schritt 5bII.
b. Nur weil die Information keine „Red Flag“ enthält, ist dies keine Entwarnung.
I. Dies gilt ganz besonders für den Schreibstil. Es gibt absichtlich im Stil von anerkannten Zeitschriften geschriebene Fake News, denn damit verbinden wir Authentizität.
Dies ist einer der Gründe, warum ich diesen Beitrag schreibe, denn im „Handbuch über Verschwörungsmythen“ steht als Tipp drin „Ist der Beitrag in einem Stil geschrieben, den ich von einer professionellen Nachrichtenagentur erwarte?“, und das ist einfach falsch. Das ist nicht nur ein praktisch bescheuerter Tipp, das ist sogar gefährlich. Denn sein Vertrauen darauf zu basieren, wie etwas geschrieben ist, öffnet eine so große Schwachstelle, dass ich immer noch nicht verstehe, wie man auf die Idee kommt, so was auch nur zu denken. Rant over. (Ansonsten ist das Handbuch ja gar nicht so schlecht)
II. Daher muss periodisch eine zufällige Nachricht aufs Genaueste geprüft werden. Als Beispiel könnte man an jedem „Fact-Tuesday“ die siebte Nachricht, die einem über den Weg läuft, auswählen. Und dann geht’s los. Alle Quellen checken, alle Quellen der Quellen checken, den Autor überprüfen, überlegen, wie mit dieser Nachricht Geld verdient wurde, den Herausgeber auf politische Verbindungen prüfen, andere Meinungen und Ansichten heraussuchen, mit diesen alle vorherigen Schritte wiederholen, und – vielleicht am wichtigsten – seine ursprüngliche Intuition mit dem Ergebnis der Prüfung vergleichen. Hierfür sollte man sich, gerade am Anfang, etwa eine Stunde Zeit nehmen. Nach einem Jahr, also gerade mal 52 Stunden Arbeit, vermute ich, dass die eigene Intuition geschärft genug ist, jedem Angriff standzuhalten. Dieser „Fact-Tuesday“ kann gerne auch im Freundeskreis, der Familie oder dem Unternehmen gemeinsam eingerichtet werden.
c. Die Kontaktaufnahme erfolgt im persönlichen, nicht anonymen Gespräch. Denn Interaktion mit Fake News im Internet stärken diese nur. Auf der einen Seite durch die Architektur von Twitter/Facebook/etc., auf der anderen durch das öffentliche Anscheinerwecken, es handle sich um eine Diskussion. Und das, siehe Fehleinschätzung kleiner Zahlen, ist ein Sieg für den Fake-News-Produzenten.
6.Selbstverständlich gelten bei der Produktion von Inhalten noch viel strengere Regeln, siehe journalistischer Ehrenkodex.
7.Das langfristige Ziel ist es, dazu beizutragen:
a. persönlich wieder kleine Bereiche des Internets zu haben, die nicht in der höchsten Sicherheitskategorie liegen.
b. gemeinsam große Teile des Internets wieder sicher zu machen. Durch ökonomischen Druck (wenn niemand auf Clickbaits klickt, dann werden auch keine produziert), aber viel wichtiger durch eine klare Botschaft aus der Gesellschaft:
Ich bin verwirrt. Aber das ist auch irgendwie kein Wunder. Die Welt ist viel zu komplex, als das ein klarer, gerader Weg durch sie hindurchführt.
Ich habe Angst. Nicht in der konkreten Form als Furcht vor etwas Bestimmten. Soweit ich blicken kann, es scheint keine Monster mehr zu geben. Aber ich spüre etwas in meinem Nacken. Dort wo mein Blick nicht hinreicht. Ich weiß, wenn ich mich umdrehe, wird dort etwas lauern, wie in einem schlechten Horrorfilm.
Es gibt eine Sprache, in der die Vergangenheit vor einem liegt, klar zu sehen, nur in der Ferne schwer zu erkennen. Und die Zukunft liegt hinter einem, unbekannt, vage und voller Überraschungen. Das Leben ist eine Zugfahrt bei der man entgegen der Fahrtrichtung sitzt.
Ein schönes Bild. Nur, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass wir gerade auf einen Tunnel zufahren, der noch nicht fertig ist.
Ich habe mich entschieden. Dafür nicht mehr dazusitzen. Die Reise nicht mehr passiv zu genießen. Ich werde vorne zum Schaffner gehen, die Nebellichter einschalten und wenn nötig einen klaren, geraden Weg durch diesen verdammten Berg sprengen.
Wow, was ein Pathos. Sorry dafür.
Natürlich war das übertrieben, ich werde wohl auch nie ein Held sein. Das ist ok. In den Worten Exurb1a’s:
Aber hey, jetzt wo ich eure Aufmerksamkeit habe, habt ihr Lust ein bisschen über die Probleme der Menschheit zu reden?
Ich behaupte mal einfach so, dass viele von euch mit diesen Gefühlen etwas anfangen konnten, vielleicht fühlt ihr euch sogar genau so. Wir reden zwar wenig gemeinsam direkt über Angst und Verwirrung, aber schaut man sich an worüber die Menschheit gerade spricht, welche Geschichten wir miteinander teilen und was die Nachrichten daraufhin produzieren *hust* Coronovirus *hust* (zu früh?), dann scheinen wir eine ziemlich besorgte Spezies zu sein.
Wenn ich versuchen würde die moderne Gesellschaft und dieses Gefühl das momentan in der Luft liegt in einem Wort zu beschreiben, dann vermutlich mit „selbstbewusst Spätrömisch“. Ok. Das waren zwei. Aber wir scheinen die ersten Wesen zu sein, die ihren bevorstehenden Untergang zumindest erahnen.
Das Schöne ist, ich habe bis jetzt noch zu keinem Zeitpunkt erwähnt wovor ich Angst habe. Je nachdem wie eure Reise bis hierhin aussah, habt ihr eure größte Angst hinter euch gespürt. Ihr habt eure Vorstellung des Untergangs auf den Berg projiziert auf den wir zurasen. Und wenn ich diesem Berg nun einen Namen gebe, werde ich das Bild eines manchen zerstören. Denn ich glaube, das größte Problem der Menscheit ist die: Immigration.
„Waas?? Nicht der Klimawandel?“ oder „Endlich jemand, der sieht was ich sehe!“ Egal wie eure Reaktion ausfiel, ich hab euch reingelegt. Natürlich ist dieser Text über den Klimawandel.
Dieser Text ist nur eine Einleitung. Eine Einleitung für meine Zugfahrt. Ich hoffe, dass ihr vielleicht etwas für eure mitnehmt, aber am meisten würde mich freuen aus eurer zu lernen. Denn meine hat gerade erst begonnen.
Manche von euch sind schonmal durch Tunnel gefahren. Haben Finanzkrisen, Kriege, Hungersnote und Rebellionen überstanden. Manche von euch haben sogar noch die Reise durch den Winter des Kalten Krieges miterlebt. Und ganz vielleicht, es wäre mir eine große Ehre, wenn dem so wäre, hat einer meiner Leser:innen sogar noch Erinnerung an die Fahrt bei Nacht. An die Gräuel, die wir Menschen in unserer dunkelsten Stunde zu Tage brachten. Aber der Weltkrieg ist lange her. Atomschutzbunker sind zu Museen geworden und selbst die letzte Finanzkrise habe ich nicht bewusst miterlebt.
Meine Name ist Heye Groß, ich bin 22 Jahre alt und ich freue mich auf die bevorstehende, lange und glückliche Reise meines Lebens. Auf eine Fortsetzung von dem was war.
Dass viele aus meinem Alter Zweifel und Einwände bei diesem Satz haben, sagt schon viel über unsere Welt aus, oder? Aber genauso seltsam finde ich die Einstellung der Erfahrenen. „Das wird schon. Mach dir nicht soviel Sorgen, Junge. Ich hab ja auch bis jetzt überlebt.“ Müsstet ihr nicht diejenigen sein, die uns ermahnen? „Alle Krisen der Vergangenheit wurden durch harte Arbeit und nicht Optimismus gelöst. Von Menschen die ausstiegen, vorausliefen und den verdammten Tunnel gegraben haben. Bereit alles zu opfern, haben sie die Schienen gelegt, auf denen wir heute fahren.“
Ich habe keine Antworten auf die Frage wie alles ausgeht. Ich weiß nicht, ob dieser Zug nicht zu schnell fährt, als dass wir noch die Zeit haben Schienen zu legen. Aber wir können es versuchen. Und ich kann ein bisschen dabei erzählen. So wie diese netten Sidekicks:
Vielleicht entsteht ja auch eine Mitmach-Story auf dieser Seite. Ein gemeinsames Choose-Your-Own-Adventure, bei dem wir gemeinsam rausfinden, wie der Blick des Schaffners aussieht.
Ich glaube, die Geschichte mit der wir die Welt retten, existiert noch nicht. Nationalismus, Kommunismus und zuletzt der Kapitalismus sind gefallen (ja klar lese ich Harari), aber eine neue Erzählung ist ausgeblieben. Ich maße mir nicht an diese zu finden, aber vielleicht können wir uns ja gemeinsam auf die Suche machen.
Um den Startstein zu legen, möchte ich eine Idee vorstellen. Eine Theorie, halbgebacken und wahrscheinlich nichtmal neu. Aber so fängt jeder wissenschaftliche Prozess an (zumindest nach WaitButWhy):
Man setzt eine Idee in die Welt und hofft, dass sie der Kritik anderer standhält. Eure Aufgabe ist also klar. Versucht sie zu zerstören.
Ohne weitere Abschweifung, hier die Idee:
Der Glaube an die eigene Unsterblichkeit macht einen zu einem besseren Menschen.
Hui. Stopp! Religion Red-Flag! Ein Sektenführer! Burn him at the stakes!
Jaja, ich weiß. Glaube, Unsterblichkeit und bessere Menschen in einem Satz. Das ist noch nie gut gegangen. Ihr habt ja recht. Aber:
Das Vernachlässigen eines eventuellen eigenen Todes verändert Grundannahmen der Moral- und Ethiktheorie und erzwingt das Überdenken fundamentaler Prinzipien unserer Gesellschaft, inklusive der Demokratie und den unantastbaren Menschenrechten, als auch ein Infragestellen persönlicher Wertesysteme zur Entscheidungsfindung. Die resultierende Moraltheorie wirkt zwar auf den ersten Blick konträr zu der jetzigen Vorstellung von Gut und Böse, wird aber, wie jedes Moralsystem, vom Menschen nicht vollständig umgesetzt werden. Die letzendlich praktizierte Moral, die entsteht, wenn Menschen annehmen, dass sie unsterblich sind, ist zu großen Teilen deckungsgleich mit dem, was nach heutigen, auf den Tod bezogenen, Moralvorstellungen, als ideal, aber nicht praktisch, gilt. Jemand, der von seiner eigenen Unsterblichkeit wirklich überzeugt ist, also daran glaubt, wird automatisch Entscheidungen treffen, wie wir sie heute nur einem Heiligen zuschreiben, auch wenn seine Begründung unmoralisch wirkt.
klang irgendwie weniger catchy.
Aber dies ist nur eine Theorie. Eine Lebenstheorie!
P.s.: Dieser Artikel ist einfach nur dazu da, damit Leute später behaupten, ich hätte den Begriff Atermismus geprägt. Was ich auch hiermit tue:
A-ter-mis-mus: Eine theoretische Ideologie, die sich mit den praktischen Implikationen von Unsterblichkeit und Hyper-Long-Term-Thinking beschäftigt. Wortherkunft: ohne (α), Ende (τέρμᾰ), mit dem Derivatem (Ableitungsmorphem) -ismus
(ja, alle echten Philosophen und Leute die tatsächlich Altgriechisch beherrschen, dürfen sich jetzt auf Kommando im Grabe umdrehen)
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